Praktische Philosophie
Können Kinder philosophieren? Ethische Urteile fällen, Überlegungen über das Wesen der Dinge und über den Menschen selbst anstellen? Grundlegende Gedanken von Arthur Schopenhauer, Immanuel Kant oder Jeremy Bentham nachvollziehen?
All dies mag für Kinder ab zehn Jahren im ersten Moment vermessen klingen, aber durch das Fach Praktische Philosophie werden sie auf altersgerechte Weise mit der Philosophie in Berührung gebracht, sodass dies ermöglicht wird. Dabei steht das Philosophieren, die Freude am eigenen Denken, ganz klar im Vordergrund des Faches. Ausgehend von Alltagsphänomenen kann die Beschäftigung mit philosophischen Gedanken beginnen. Verdeutlicht werden soll dies mit einem Beispiel aus dem Fragekreis „Gut und böse“ aus der Erprobungsstufe (Jahrgang 5 und 6)
Jeder Mensch hat sich schon einmal gefragt, was eigentlich eine gute Handlung ausmacht, d.h. unter welchen Umständen man eine Handlung als „moralisch wertvoll“ klassifizieren kann. Ausgehend von einer eigenen guten Tat, können die Schülerinnen und Schüler darüber philosophieren, was die eigene Handlung eigentlich moralisch wertvoll gemacht hat. Ist es das eigene Motiv, die Liebe zum Mitmenschen, die mich dazu bringt, ihm zu helfen? Oder mein grundlegender Wille Gutes zu tun, der sich in dieser Handlung ausdrückt? Oder ist es das reine Ergebnis der Handlung, die Tatsache, dass ich ihn oder sie glücklich gemacht habe?
In Bezug auf dieses Beispiel gibt es in der Philosophiegeschichte unterschiedliche Antworten. Arthur Schopenhauers „Mitleidsethik“ besagt, dass eine Handlung dann moralisch wertvoll ist, wenn sie aus einem innigen Gefühl für den Mitmenschen entspringt, aus einem Empfinden des Mitleidens oder der Liebe. Auch Immanuel Kant hält das Handlungsmotiv für entscheidend. Er meint jedoch, dass der reine Wille gut zu handeln entscheidend ist, ein inneres Pflichtgefühl im Menschen, Gutes zu tun, auch wenn einem die Person nichts bedeutet und man in diesem Fall vollkommen gefühlskalt handelt. Jeremy Bentham verfolgt eine andere Herangehensweise, indem er behauptet, dass die Handlungen moralisch richtig sind, die möglichst viele Menschen glücklich machen, egal was das Handlungsmotiv ist.
Die Beschäftigung mit den Autoren erfolgt dabei in der Erprobungsstufe in der Regel durch einfach gehaltene Beispiele oder Sekundärtexte, die jedoch Zitate oder Auszüge aus den Originalschriften beinhalten und die grundlegenden Gedankengänge der „großen Philosophen“ kindgerecht vermitteln. Ausgehend von diesen konträren Positionen sollen sich die Kinder ein eigenes Urteil darüber bilden, warum ihre Handlung letztendlich moralisch wertvoll war.
Die Philosophie beschäftigt sich natürlich mit unzähligen weiteren spannenden Fragen, auf die Menschen versuchen, eine Antwort zu finden und die im alltäglichen Leben eine Rolle spielen. Einige besonders interessante Bespiele werden im Folgenden genannt:
Welchen Wert haben eigentlich Tiere? Warum essen wir Schweine, Kühe und Hühner und halten sie unter zum Teil unwürdigen Bedingungen, verwöhnen aber unsere Hunde und Katzen? (Jahrgangsstufe 6)
Wie kann ein Mensch glücklich werden? Braucht er dazu Reichtum, materielle Güter und Luxus, oder ist der bescheidene, der beliebte oder der gebildete Mensch der glücklichere? (Jahrgangsstufe 7)
Welchen Einfluss hat die immer weiter fortschreitende Technik auf unser Leben und unsere Kultur? Sind das Internet, Smartphones und selbstfahrende Autos eine kulturelle Bereicherung oder schädigen sie unsere Gesellschaft? (Jahrgangsstufe 8)
Wie entstehen Vorurteile und Rassismus? Warum fühlen sich viele Menschen in unserer Gesellschaft durch Flüchtlinge bedroht und wie kann ein friedliches Zusammenleben funktionieren? (Jahrgangstufe 9)
All diese philosophischen Fragen haben einen klaren Alltagsbezug und betreffen die Welt heutiger Kinder und Jugendlicher. Die Aufgabe des Philosophieunterrichts besteht darin, hinter die alltäglichen Phänomene zu blicken und vermeintliche Wahrheiten in Frage zu stellen, um zu einem eigenen reflektierten Urteil zu kommen. Die Philosophiegeschichte hilft den Schülerinnen und Schülern hierbei, gibt Denkangebote und Anreize, da die grundlegenden menschlichen Fragen häufig noch die gleichen sind wie viele Generationen zuvor.
Alexander Vortkamp, Fachlehrer für Praktische Philosophie